10. Februar 2009

Wenn es einen Film gibt, der den europäischen Horrorfilm der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre in Feuilleton-taugliches Glanzpapier verpackt und durch die Jahrzehnte in die Gegenwart transportiert, dann ist das Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ (1999). Jedes einzelne Element aus vielen Filmen von Jess Franco, Jean Rollin und zahllosen Italienern – vom Okkultismus bis zur Erotik – darf hier von Tom Cruise und Nicole Kidman nachgespielt werden; „Eyes Wide Shut“ funktioniert wie ein Remake eines ganzen Genres, nicht eines einzelnen Films, und er macht seine Sache dabei ziemlich gut. Die Überschneidungen dürften zum Teil an der Vorlage liegen. Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ nimmt vieles vorweg, das die europäischen Regisseure Jahre später für das Kino wiederentdeckten. Trotzdem: Die Mischung aus okkultem Horror, Freudscher Psychologie und Sex stellt genau die Zusammenstellung dar, die Kubrick hier rekapituliert, und darum hebe ich mir die Blu-Ray von „Eyes Wide Shut“ auf, bis mein Mini-Festival von Franco & Co. beendet ist bzw. mir die repetitiven Elemente ihrer Filme bis zu den Ohren stehen.
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Was, ehrlich gesagt, heute morgen schon fast der Fall war, als ich eine andere Franco-DVD, die seit Jahren ungeöffnet im Regal stand, eingelegt habe: „Female Vampire“, auch noch unter einem Dutzend anderer Titel veröffentlicht, gilt als einer seiner poetischen Höhepunkte, aber das Verständnis dafür entzieht sich mir nun wirklich völlig. Nach einer halben Stunde war´s genug, der Schnellvorlauf hat auch nichts enthüllt, das die Sache hätte retten können.
Also weg damit und weiter zu Francos „Eugenie“ (1969) – hübsch gefilmt, aber leider ebenfalls langweilig. Dafür gibt´s auf der DVD ein nettes Interview mit Jack Taylor, der damals in vielen Filmen dieser Art gespielt hat und seinen letzten vergleichbaren Auftritt in Polanskis „Ninth Gate“ hatte; er dreht noch immer, aber Polanskis Verfilmung des Romans „Der Club Dumas“ ist neben „Eyes Wide Shut“ ein weiterer Film, der ganz in der Tradition europäischer Exploitation der Beat- und Hippie-Ära steht. (Weitere Anwärter auf diese Ehre wären Verfilmungen von Ecos „Foucaultschem Pendel“ und Zafóns „Der Schatten des Windes“, so es sie jemals geben wird.)
Als nächstes stand heute Corrado Farinas „Baba Yaga“ (1973) auf dem Programm, der trotz des Titels nichts mit russischen Märchen zu tun hat, sondern eine Verfilmung des gleichnamigen Guido-Crepax-Comics ist. Valentina, eine Mailänder Modefotografin, fällt unter den Bann einer Hexe; angereichert ist das Ganze mit sonderbaren Todesfällen, einer Kamera, die manchmal wie von selbst im Dunkeln fotografiert, einem bodenlosen Abgrund unter dem Teppich einer alten Villa und jeder Menge linkspolitischem Aktivismus des italienischen Politkinos der Siebziger. Das ist anspruchsvoll, surreal, wunderbar gefilmt, interessant besetzt (Luis de Funes´ Tochter in der Hauptrolle) und sehr eigenwillig.
Corrado Farina hat noch einen weiteren phantastischen Film gemacht, "Hanno Cambiato Faccia", der bei uns unter dem generischen Titel „Wettlauf gegen den Tod“ auf VHS erschienen ist. Die habe ich mir gerade erst auf DVD gebrannt und bietet sich daher für ein Farina-Double-Feature an, zumal damit die Filmografie des Regisseurs abgearbeitet ist: die beiden sind seine einzigen Spielfilme geblieben, heute schreibt er Romane und dreht Dokumentationen.
"Hanno Cambiato Faccia“ (1971), Farinas erster Film, bedient sich des klassischen Dracula-Plots, um daraus eine recht interessante, aber viel zu bemühte Satire zu machen: Der Großindustrielle Nosferatu lädt einen seiner Angestellten in sein abgelegenes Bergschloss ein, wo sich rasch herausstellt, dass er ein Blutsauger im buchstäblichen Sinne ist. Jede Menge atmosphärische Bilder und ein schöner Soundtrack machen die Kapitalismusschelte mit dem Holzhammer nicht wett. Insgesamt bleibt der Eindruck eines Films, der das Genre gekonnt, aber eigennützig bedient, ähnlich vergleichbaren sozialistischen Fabeln wie dem russischen Gothic-Märchen „Graf Stachs wilde Jagd“. Und so bleibt „Baba Yaga“ der weit überlegene der beiden Farina-Filme, der seine politischen Motive zwar ebenso offen legt, sie aber viel geschickter in den phantastischen Kontext setzt.
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Zwischendurch kam per E-Mail das Hörspielmanuskript zu DIE GEISTERSEHER. Marco Göllner und Dennis Erhardt brauchen die korrigierte Fassung bis Anfang nächster Woche, so dass mein Filmkonsum in den nächsten paar Tagen zwangsläufig ein wenig zurückgefahren wird.