22. Juni 2009

Frisch erschienen ist "Gonji" von T.C. Rypel, ein Roman, den ich im Zitat auf der Rückseite "die wichtigste Wiederentdeckung klassischer Fantasy seit "Conan"" genannt habe. Gonji ist ein Samurai, der im Spätmittelalter in den Karpaten die mythische Stadt Verdun sucht, um sich dort einem prophezeiten Schicksal zu stellen. Ich habe für das Buch ein Vorwort verfasst, das erklärt, was mich mit Rypels Roman verbindet, und hier sind einige Auszüge:

Vor einer Weile las ich ein Interview mit dem Fantasy-Autor David C. Smith, der in den Siebziger und Achtziger Jahren einige farbenfrohe Sword & Sorcery-Abenteuer veröffentlicht hat. Unter anderem ging es darum, wie flüchtig Erfolg und ein gewisser Bekanntheitsgrad sein können. Um dies zu illustrieren, erwähnte er eine Romanserie mit dem Titel „Gonji“; vor rund 25 Jahren sei sie in den USA recht populär gewesen, heute aber zu Unrecht völlig vergessen. (...)
Neugierig bestellte ich mir antiquarisch alle fünf Bände seiner Reihe. Ohne allzu große Erwartungen, ehrlich gesagt. Sword & Sorcery ist jenes Subgenre der Fantasy mit dem schlechtesten Ruf: Pralle, meist recht maskuline (und muskuläre) Abenteuergeschichten, gern nach dem ewig gleichen Strickmuster gebaut, viele davon lediglich Variationen von Robert E. Howards Storys um den Barbaren Conan. In den Siebzigern feierte diese Spielart des Genres einige Erfolge, geriet aber seither unter den jüngeren Lesern, die sich für Phantastisches begeistern, in Vergessenheit. Viele mögen noch Conan kennen (eher als Film, denn als Buch), doch einige der anderen, womöglich gar besseren Helden aus dessen literarischem Umfeld sind aus der Wahrnehmung der Fans verschwunden: Elric, Kane, Fafhard und der Graue Mausling – ihre Abenteuer liest heute leider kaum noch jemand.
„Gonji“ jedoch, das wurde mir schon auf den allerersten Seiten klar, ist anders. Sicher, auch hier beginnt alles mit einem Schwertkämpfer, gut gemachter Action, einem Ungeheuer – doch damit erschöpfen sich die Parallelen. „Gonji“ ist vor allem eines: phänomenal gut geschrieben! So gut, dass ich sofort begann, im Internet nach diesem obskuren Autor namens T.E.D. Rypel zu suchen. Gefunden habe ich nichts außer einigen Titelvermerken – offenbar hatte Rypel nach dem fünften „Gonji“-Band im Jahr 1986 nie wieder irgend etwas veröffentlicht.
Kann nicht sein, dachte ich. Niemand, der ein solches Talent besitzt, hört einfach auf. Zwei Möglichkeiten kamen in Frage: Entweder, Rypel lebte nicht mehr, oder aber er schrieb sehr wohl weiterhin Bücher, nur unter anderem Namen. Einige der Sword & Sorcery-Veteranen jener Zeit wurden später in anderen Genres zu Bestsellerautoren – der bekannteste ist John Jakes, der mit naiven Barbarengeschichten begann, um dann mit seiner vielbändigen Bürgerkriegssaga „Fackeln im Sturm“ einen Welterfolg vorzulegen. (...)
Also vertiefte ich meine Recherche. Ich bestellte mir stapelweise alte amerikanische Genre-Fanzines wie „Amra“ und den „Fantasy-Newsletter“, die bis in die Achtziger Jahre das Sprachrohr der Szene gewesen waren. Darin musste es Hinweise auf Rypel geben – und wenn es nur ein Nachruf wäre.
Doch einige wenige Erwähnungen der Titel zum Zeitpunkt des Erscheinens waren alles, auf das ich in Dutzenden von Heften stieß. Keine Rezensionen, kein Interview. Ich schrieb an David C. Smith – und bekam keine Antwort. Zunehmend ungeduldig setzte ich Suchmeldungen in die größten amerikanischen Internetforen zum Thema Fantasy. Irgendwen musste es doch geben, der wusste, was aus Rypel geworden war. Aber auch hier: Erst einmal Fehlanzeige. (...)
Derweil las ich den ersten Band, dann den zweiten. Bis ich, Monate später, unter meinen E-Mails eine Benachrichtung fand: Irgendwer hatte sich im Forum der offiziellen „Conan“-Homepage gemeldet. Ich sah nach – und fand einen Eintrag von Rypels Tochter Beth. Ihr Vater sei keineswegs ein Pseudonym, auch nicht tot, sondern, ganz im Gegenteil, quicklebendig. Ich schrieb ihr zurück, dass ich sehr erleichtert sei und mich freuen würde, wenn sie meine Mail an ihn weiterleiten könnte. Das werde sie gern tun, antwortete sie, allerdings sträube sich ihr Vater ein wenig, per E-Mail zu kommunizieren. Egal, dachte ich, ich wollte ja nur meine Komplimente loswerden und ihm zu seinen Büchern gratulieren.
Wieder verging einige Zeit mit völliger Funkstille. Zufrieden war ich trotzdem, hatte ich doch alles loswerden können, das ich hatte sagen wollen. Doch dann, nach mehreren Monaten, trudelte eine ungewöhnlich lange und überaus freundliche E-Mail bei mir ein – diesmal unterzeichnet mit „Ted“. Ganz offensichtlich konnte er kaum fassen, dass sich noch jemand für ihn und seine Bücher interessierte. Er gehe gerade in Pension, schrieb er, nach Jahrzehnten in einem Job, der ihn nur mäßig ausgefüllt habe. Ja, er habe immer geschrieben, aber tatsächlich seit dem fünften „Gonji“-Band nichts mehr veröffentlicht. Ärger mit dem damaligen Verlag, mit einer Agentur, allerlei äußere Umstände hätten dazu geführt, dass er sich selbst lange nicht mehr als echten Schriftsteller gesehen hätte.
Ich widersprach – Schriftsteller ist man immer, auch Jahre nach der letzten Veröffentlichung. Die Bücher bleiben bestehen, selbst wenn sie nur noch in den hinteren Regalen eines Antiquariats zu finden sind.
Wir begannen, ausführlichere Mails zu schreiben, schickten Bücher hin und her, und ich bat ihn, die „Gonji“-Bände meinem Verlag hier in Deutschland zeigen zu dürfen. Bastei Lübbe hatte gerade mit dem verstorbenen David Gemmell den letzten erfolgreichen Sword & Sorcery-Autor verloren, und ich konnte mir vorstellen, dass Ted Rypel und „Gonji“ diese Lücke füllen könnten. Ted freute sich über meine Begeisterung, schien aber nicht so recht glauben zu wollen, dass tatsächlich ein Verlag Interesse haben könnte. Trotzdem sandte er einige Exemplare an Lübbes Fantasy-Lektor Ruggero Leo; ich hatte ihn bereits mit einer glühende Empfehlung eingestimmt und bekräftigte sie noch mal am Telefon und auf der nächsten Buchmesse. Einige Wochen später kam das Signal: Ja, man wolle „Gonji“ auf Deutsch veröffentlichen, erst einmal die Bände eins bis drei, die eine in sich geschlossene Trilogie bilden, danach womöglich auch die beiden folgenden Einzelromane. (...)


Soweit der Auszug aus dem Vorwort. "Gonji" mag wie alle Debütromane an ein paar Kinderkrankheiten leiden (etwa zu viele Adjektive, was im Deutschen immer noch ein wenig offensichtlicher wird als im Original), doch was mich mehr noch als die interessante Hauptfigur gepackt hat, ist die vollkommen eigene Stimme, die aus den Büchern spricht. Ähnlich wie bei David Gemmell - der ein deutlich schwächerer Stilist war -, spürt man hinter jedem Absatz die Präsenz des Autors und hat das Gefühl, dass hier eine reale, individuelle Person zum Leser spricht. In der modernen Fantasy ist das selten geworden, und deshalb ist es ein Grund mehr, den "Gonji"-Romanen eine neue Chance zu geben.