09. Januar 2008

Im Forum wurde gefragt, was es mit dem Helm auf sich habe, der auf einem der Fotos im letzten Eintrag neben Mythors Schwert zu sehen ist. Geschmiedet wurde er von den Albion Armorers, die vor einiger Zeit die Lizenzen an einigen Gemälden Frank Frazettas - darunter auch an seinem "Death Dealer" - erwarben und seither Elemente daraus umsetzen. (Das Bild, das auf dem Foto über dem Helm hängt, ist nicht das Original, sondern ein signierter Gliclée-Druck.)
2005 habe ich in einem Nachwort zu Hugh Walkers zweitem "Magira"-Roman "Die Macht der Finsternis" davon erzählt, darum bringe ich den Text hier noch mal in voller Länge:

Es gibt nur wenige Romane, die ich mehr als ein einziges Mal gelesen habe. Nicht einmal meine Lieblingsbücher. Zu viele Titel erscheinen Monat für Monat, zu viele neue Geschichten, zu viele interessante Autoren.
Hugh Walker hat mich, was das angeht, übers Ohr gehauen. Seine MAGIRA-Romane hat er für jede Neuveröffentlichung während der vergangenen drei Jahrzehnte so gründlich überarbeitet, dass einem Fan gar keine andere Wahl blieb, als mit dem Lesen immer wieder von vorn zu beginnen.
Und ein Fan war ich und bin ich, ohne jede Frage.
Ich entdeckte den ersten MAGIRA-Band als Teenager Anfang der Achtziger Jahre in einem schmuddeligen Laden für gebrauchte Taschenbücher und Comics, einem dieser Orte, die sich in Nachworten wunderbar nostalgisch machen. Ich muss etwa dreizehn gewesen sein, hatte die Fantasy erst kurz zuvor für mich entdeckt und war in Sachen Genre recht orientierungslos. Tolkien kannte ich, na klar, dann ein paar Sachen von Poul Anderson, Michael Moorcock, Karl Edward Wagner. Außerdem Comics wie Schwermetall (mit der ganz und gar unwiderstehlichen Aufschrift „für Erwachsene“). Und, ganz besonders, meine erste Berührung mit Sword & Scorcery aus Deutschland und bis heute meine guilty pleasure Nummer eins, die Romanserie Mythor, an der Hugh Walker als Initiator und Autor maßgeblich beteiligt war.
Dies war der Nährboden, auf den das Titelbild des ersten MAGIRA-Bandes fiel – ein Gemälde von Frank Frazetta mit dem Titel Death Dealer, ursprünglich für eine vergessene US-Anthologie geschaffen, gemalt innerhalb eines einzigen Tages, heute popkulturelle Ikone der Siebziger und zugleich ihr martialischer Gegenentwurf. Flower? Von wegen. Power? Jede Menge! Wer dieses Bild einmal gesehen hat, der erkennt es immer wieder.
So muss es auch Hugh Walker ergangen sein, als er Death Dealer entdeckte und entschied, es als Cover seines Romans zu verwenden. 1975 war er Herausgeber der ersten deutschen Edition von Fantasyromanen – der legendären Terra-Fantasy-Reihe des Pabel Verlags. Hier sollte auch das erste MAGIRA-Buch erscheinen. Weil er nicht nur Autor, sondern auch Herausgeber seines eigenen Romans war, konnte er das Cover selbst auswählen - eine beneidenswerte Position. Das Frazetta-Gemälde wurde MAGIRA-Titelbild und inspirierte zugleich eine der eindrücklichsten Figuren in Walkers Werk: den rätselhaften Reiter der Finsternis.
Reiter der Finsternis war folgerichtig auch der damalige Titel des ersten Bandes, den ich sechs oder sieben Jahre nach seinem Erscheinen als gebrauchtes Exemplar in den Fingern hielt. Gelesen habe ich ihn an einem einzigen Nachmittag und war auf der Stelle süchtig nach mehr. Acht MAGIRA-Abenteuer sind damals erschienen, außerdem ein paar Kurzgeschichten, doch der Abschluss wurde uns mit der Einstellung von Terra Fantasy vorenthalten.
Ein paar Jahre später, 1985, wurde ein erneuter Versuch gestartet, die MAGIRA-Bücher zu veröffentlichen. Massiv überarbeitet, deutlich vielschichtiger und komplexer als das Original, kam die Reihe diesmal nur bis Band drei. Den ersten Roman hatte ich nun bereits zweimal gelesen.
1996 erschien MAGIRA zum dritten Mal. In einem Kleinverlag sollten die Bände der Serie neu aufgelegt werden, jetzt zur Trilogie montiert und abermals gründlich umgeschrieben. Tatsächlich publiziert wurde nur ein einziger Band, der in etwa die ersten drei Taschenbücher der Erstausgabe umfasste. Ich begann mit dem Lesen mal wieder von vorn – und prompt wurde das Projekt vom Verlag aufgegeben.
Aber diesmal war ich nicht bereit, mich so leicht unterkriegen zu lassen, zog meine alten Terra-Fantasy-Ausgaben aus dem Regal und begann nunmehr zum vierten Mal mit dem Auftakt der Geschichte (der freilich nach all den Überarbeitungen des Autors nur noch vage Ähnlichkeit mit der aktuellen Version hatte).
Um es kurz zu machen: Ich bin bis zu einer Szene gekommen, die jetzt Teil des Buches ist, das Sie in Händen halten, ehe ich erfuhr, dass der Bastei-Lübbe-Verlag eine neue Edition plante, nun mehr auf insgesamt vier Bände angelegt.
Mittlerweile haben mir Stefan Bauer und Helmut Pesch vom Lektorat versprochen, garantiert bis zum Abschluss durchzuhalten. Den beiden gebührt Respekt und vor allem Dank, sich dieses Urgesteins der deutschen Fantasy angenommen zu haben. Dass MAGIRA nun endlich, nach immerhin dreißig Jahren, vollständig erscheinen wird, freut mich für Hugh Walker und ganz besonders für mich selbst. Und, ja, ich beginne mit dem Lesen gerade wieder am Anfang, mit dem festen Vorsatz, endlich zu erfahren, wie die Geschichte von Frankari, Thorich, Bruss und Ilara zu Ende geht.
In diesem Zusammenhang noch ein Letztes: Erwachsene Männer geben nicht gerne zu, wenn sie Geld für dummes Zeug ausgeben. Für, nun ja, Schwerter und Helme, zum Beispiel. Ich tu´s trotzdem, hier und jetzt. Vor einigen Jahren kündigte ein amerikanischer Anbieter von Reproduktionen mittelalterlicher Waffen an, dass er die Lizenz an diversen Motiven Frank Frazettas erworben habe. Starten wolle man mit dem Helm des Death Dealers, hieß es. Ich war einer der ersten, die eine Bestellung aufgaben. Mir ging es nicht um Frazetta, obwohl ich viele seiner Gemälde mag - für mich war das nicht der Helm irgendeiner gemalten Figur, nein, dies war der Helm eines Reiters der Finsternis! Von Hand aus dunklem Stahl gehämmert, innen mit Leder ausgekleidet, und – ganz wichtig - mit den beiden gebogenen Hörnern an den Seiten.
Meine Frau zieht mich gern damit auf, dass ich angeblich, wenn sie nicht hinschaut, mit dem Ding auf dem Kopf durchs Haus laufe. Um meine Glaubwürdigkeit während der letzten Zeilen nicht zu verspielen: Ganz so weit geht es dann doch nicht. Aber der Helm des Reiters der Finsternis thront am Aufgang zu meinem Arbeitszimmer, zusammen mit einer handgearbeiteten Replik des Schwertes aus dem ersten Conan-Film und einem Dolch, den ich aus irgendwelchen Gründen mit Mythor verbinde. Drei Reliquien meiner ganz frühen Zeit als Fantasy-Fan. Nostalgie? Na sicher. Vor allem aber Erinnerung an das, was mich selbst zum Geschichtenerzähler gemacht hat. Wenn ich an seinem Helm vorbeigehe, erinnert mich der Reiter der Finsternis an das Staunen, den Spaß und die weitäugige Faszination, die ich als Teenager bei meinen ersten Berührungen mit dem Genre empfunden habe – ein Fundus von echten und verklärten Gefühlen, auf die ich beim Erzählen meiner eigenen Geschichten täglich zurückgreife. Außerdem und ganz besonders ist es der Stoff, der die Welt Magira und ihre Bewohner bis zum Bersten mit Leben erfüllt.
Wie gesagt, ich bin Fan. Ich lese die MAGIRA-Romane nun zum fünften Mal und diesmal wohl endlich bis zum Schluss. Vorausgesetzt, die Herausgeber halten ihr Wort und bis zum Ende durch. Falls nicht ... nun, ihre Namen stehen weiter oben. Ich habe ihre Adressen. Ein Conan-Schwert. Und den Helm eines Reiters der Finsternis.


So weit das Nachwort von 2005. Als Postscriptum sei vermerkt, dass der Lübbe-Verlag in der Tat durchgehalten hat: Alle vier Bände von Hugh Walkers Lebenswerk liegen mittlerweile vor. In der Zwischenzeit hat er einige andere Bücher übersetzt - darunter Garth Nix´ "Sabriel"-Trilogie -, aber nur wenig Neues geschrieben. Das Warten geht also weiter.