11. September 2007

Wer sich öffentlich über eine schlechte Kritik ereifert, gilt schnell als schlechter Verlierer. Deshalb behaupten Künstler aller Richtungen gern, dass sie Kritiken gar nicht lesen. Natürlich ist das Unsinn. Wen nicht interessiert, was das Publikum denkt, sollte lieber Blumenvasen für den Eigengebrauch töpfern.
Für Schriftsteller war es früher damit getan, einmal im Monat den Stapel Kopien von Rezensionen durchzublättern, den die Verlage einem schicken. Heute gibt es die Amazon-Kundenrezensionen, und damit hört der Spaß leider auf. Sich über gute Rezensionen auf den Amazon-Seiten zu freuen und die schlechten als inkompetent, wichtigtuerisch, neidgesteuert und - schlimmstenfalls - bösartig abzutun, ist sehr verlockend. Womit wir dann wieder beim schlechten Verlierer vom Anfang wären. Das Problem dabei ist: Die Autoren können in diesem Fall nur die Verlierer sein. Diskussionen mit Kritikern will eigentlich niemand ernsthaft führen, es sei denn im Fernsehen, weil es da Bücher verkauft. Alles andere geht meist nach hinten los. Zähneknirschend sagt man sich dann Dinge wie "Hat das Buch halt nicht verstanden" oder eher noch "Lass die Idioten doch schreiben, was sie wollen".
Das Schlimme an dem, was da jedermann bei Amazon verbreiten darf, sind gar nicht so sehr die Beweggründe der Rezensenten, sondern vielmehr die mangelnde Einflussnahme von Seiten Amazons. Es gibt keine ernsthafte Qualitätskontrolle. Der Button "Rezension unzumutbar" bietet keinen Platz für eine fundierte Begründung. Und gäbe es ihn, würde sich wahrscheinlich niemand bei Amazon darum scheren.
Ziel soll keineswegs sein, jede schlechte Leserkritik zu verbannen. Amazons Rezensionsdemokratie treibt kuriose Blüten im Negativen und Positiven: Viele gute Besprechungen sind ebenso naiv, schauderhaft formuliert und uninformiert wie die schlechten. Katastrophal ist vielmehr, dass eine redaktionelle Betreuung zwar behauptet wird, aber nicht stattfindet. Wenn sich also jemand lang und breit auf der Seite des "Buch von Eden"-Taschenbuchs darüber auslässt, dass es in dem Roman keine bildhaften Beschreibungen, keine mittelalterliche Atmosphäre und keine ausgearbeiteten Figuren gebe, muss man das als Autor schlucken. Wenn dann aber derselbe Rezensent im allerletzten Absatz erwähnt, dass er ja nur das um 60 Prozent (!) gekürzte Hörbuch kenne, nicht aber den vollständigen Roman, ist das, höflich gesagt, fragwürdig. Der Fehler liegt bei Amazon: Warum ist diese Rezension auch auf der Seite des Taschenbuchs zu lesen, statt nur beim Hörbuch, wo sie hingehört (und womöglich auch nicht ganz unangebracht ist)?
Die Amazon-Rezensionen sind zu einem chaotischen Selbstläufer geworden, den die Redaktion nicht mehr kontrollieren kann oder will. Aber schneidet sich Amazon damit nicht ins eigene Fleisch? Meinen eigenen Bücherkauf entscheide ich fast immer nach den negativen Kritiken: Steht zwischen zehn guten Besprechungen eine schlechte, lese ich die als erste. Die Kaufentscheidung fällt bei mir nach den ersten paar Sätzen, denn: Wie viel Zeit möchte man schon aufwenden für unbeholfenes Deutsch, schwammige Meinungen und - das sind die schlimmsten Fälle, und sie werden immer häufiger - Selbstdarstellungen der Rezensenten? Trotzdem reicht mir oft die Tatsache, dass ein Buch jemandem nicht gefallen hat. "Wird mir bestimmt genauso gehen", denke ich dann. Und verzichte darauf. Gut für mein Konto. Schlecht für Amazon.