27. Oktober 2006
Die Wahrheit muss jetzt mal ans Licht: In meinem Bücherregal liegt ein Totenschädel. Gekauft habe ich ihn vor über zehn Jahren in einem Hinterhof der Prager Altstadt. Er hat eine getrocknete Rose zwischen den Zähnen; mittlerweile sind die meisten Blütenblätter abgefallen. Ein Stück vom Wangenknochen ist auch mal zerbrochen. Ursprünglich hatte ich zwei. Meine größte Sorge war, dass jemand an der Grenze den Wagen durchsuchen und die Schädel finden könnte. Der Verkäufer, nicht älter als ich selbst damals, hatte mich mit mysteriösem Kopfnicken durch ein Hoftor gewinkt. Er hatte eine Decke auf dem Pflaster ausgebreitet, auf der irgendetwas lag. Man konnte nicht erkennen, was, weil eine zweite Decke darüber lag. Als er sie anhob, grinsten mich die Schädel an. Acht oder neun, mindestens. Gekostet haben sie nicht viel mehr als ein Cappuccino auf dem Hradschin. Ich spazierte mit den beiden Schädeln über den Alten Markt, über die Karlsbrücke und zurück in mein Hotel auf der Kleinseite. Dort fiel mir beim Auspacken einer auf den Boden und zerbrach in mehrere Stücke. Immerhin, die Grenze war jetzt kein Problem mehr - das Ding war aus Gips. Der zweite, den ich heute noch habe, genauso. Ich vermute, er stammt aus einem Theater- oder Filmfundus. Übrigens sieht er echter aus als der, den man in diesen Tagen ständig in den Medien sieht. Ein paar Stunden lang WAR ich überzeugt, dass er echt ist. Nur unter dieser Voraussetzung habe ich ihn gekauft. Ich war kein Soldat, stand nicht unter Gruppenzwang, war nicht in einem Krisengebiet stationiert und musste nicht jeden Tag Angst um mein Leben haben. Ich war Mitte zwanzig, Tourist, habe für den SCHATTENESSER recherchiert und zwei Schädel gekauft. Vielleicht sagt jemand: "Das ist unentschuldbar." Von mir aus.