09. April 2008

"Tolkiens Völker und kein Ende: Sägt die (deutsche) Fantasy an dem Ast, auf dem sie sitzt?" heißt das neueste Diskussionsthema im Online-Magazin Phantastik-Couch, neben der Zeitschrift "phantastisch!" derzeit wahrscheinlich Deutschlands engagiertestes Forum für Fantasy und SF in der Literatur. Frank Dudley, der Herausgeber, hatte mich um eine Antwort auf diese Frage gebeten, die vorgestern online gegangen ist. Der Text wurde viel länger als geplant, und ich weiß nicht, ob mein ZWERGENKRIEG von vor über zehn Jahren mich wirklich zum allzu qualifizierten Ansprechpartner macht, aber hier ist der Artikel. Markus Heitz und Christoph Hardebusch haben Zustimmung signalisiert, was mich freut, denn wenn es um eines ganz sicher nicht ging, dann darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
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Weil gerade die Rede vom ZWERGENKRIEG war: Der Roman ist eines der vier Bücher, die mittlerweile in NIBELUNGENGOLD gesammelt vorliegen (was übrigens eine weitere Querverbindung zu "Elfen"-Autor Bernhard Hennen herstellt, aber das führt hier zu weit). Zwei Studentinnen haben mir kürzlich für ihre Arbeit zum Nibelungenlied ein paar Fragen gestellt, und hier ist ein längerer Auszug:
Was ist für Sie „Fantasy“?
In erster Linie die Möglichkeit, den so genannten "sense of wonder" beim Leser zu erzeugen. Ein Staunen, wenn er mit Bildern und Situationen konfrontiert wird, die ihm in der Realität nicht begegnen werden. Manchmal absichtlich, oft auch ungewollt werden diese Bilder zu Symbolen - und dann bietet die Fantasy die Möglichkeit, den Lesern auch ein wenig mehr über sich selbst und ihre Wirklichkeit zu erzählen. Überhöhung von Szenerien, vor allem aber von Emotionen ist der Schlüssel zu vielen meiner Geschichten und Charaktere.
Muss Fantasy immer einen mythologischen Hintergrund haben?
Ja - aber nicht immer explizit. So wie fast jede realistische Geschichte, die von einem Charakter erzählt, der sich gegen höhere Mächte auflehnt (das kann auch der Todkranke im Sterbebett oder der Staatsanwalt im Kampf gegen die Mafia sein), folgt die Fantasy meist der "Reise des Helden", wie es der Mythenforscher Joseph Campbell genannt hat. Es gibt bei Jung und Eliade andere Begriffe dafür, aber letztlich ist das der Kern allen Geschichtenerzählens. Mythen bilden das Grundgerüst, ganz gleich, ob ich sie beim Namen nenne oder nicht.
Was reizt Sie am Nibelungenstoff?
Damals, als ich die vier Romane geschrieben habe, die heute im Sammelband "Nibelungengold" zusammengefasst sind, habe ich mich gefragt, warum eigentlich die Buchhandlungen voll sind mit Bearbeitungen der Artus-Saga, aber nur vergleichsweise wenige Adaptionen des Nibelungenliedes zu finden sind. Natürlich gab es immer welche, aber eher im Drama, in der Musik, und nur ganz wenige in Romanform.
Wann und wie hatten Sie zum ersten Mal Kontakt zum Nibelungenlied?
Die erste dramatische Adpation, die ich kannte, war eine Hörspielplatte von Europa, "Siegfried". Da war ich vier oder fünf.
Wie ist ihre persönliche Verbindung zum Nibelungenlied?
Ich habe eine starke emotionale Bindung zum Rhein. Meine Großeltern lebten in einer alten Villa am Rhein und sind mit mir als kleinem Kind jeden Tag am Ufer spazieren gegangen. Das war in einem kleinen Ort namens Unkel, südlich von Bonn, und von dort aus sieht man sowohl den Drachenfels, als auch den Rolandsbogen. Wie viele Kleinkinder hab ich mir irgendwelche Geschichten zu meinen Stofftieren einfallen lassen, die angeblich auf der anderen Seite des Flusses in einem Haus "geboren" waren, das ich bei diesen Spaziergängen immer gesehen habe. Mein Großvater hatte eine große Bibliothek, ganz klassisch, wie aus einem Edgar-Wallace-Film (Wallace war auch einer seiner Lieblingsautoren), und er hatte Berge von Rheinliteratur. Er hat mir oft Geschichten über den Fluss erzählt, über den Drachenfels, all diese Dinge, und die Faszination ist bis heute noch da. Mein Roman „Loreley“ ist nach wie vor einer meiner eigenen Favoriten. Vom Rhein, jedenfalls, ist es nicht weit zu den Nibelungen, schon gar nicht in der Umgebung des Drachenfels.
Ist das Nibelungenlied „high culture“ oder „trash“?
Das Nibelungenlied selbst gehört zum deutschen Kulturkanon. Was man selbstverständlich nicht von allen Bearbeitungen behaupten kann. Die Nibelungenfestspiele in Worms sind eher "high camp" in Reinkultur.
Kennen Sie zeitgenössische Rezeptionszeugnisse, wie z.B.: „Siegfried“ mit Tom Gerhardt oder „Die Nibelungen“ (RTL) mit Benno Fürmann? Was halten Sie davon?
Ich mag Parodien nicht besonders, und Tom Gerhardt ist nun gar nicht mein Ding. Den Benno-Fürmann-Film fand ich als unterhaltsame Adaption durchaus gelungen. Man darf eben nicht vergessen, dass hier mit einem Fernsehbudget gearbeitet wurde. Nur Fürmann selbst erschien mir arg fehlbesetzt. Auf der anderen Seite: Wie soll man eine Figur wie Siegfried besetzen? Er ist sicher die undankbarste Figur in der ganzen Geschichte, und ganz gleich, wer sie in den verschiedenen Verfilmungen gespielt hat - Häme gab es immer.
Welche Motive im Nibelungenlied finden Sie besonders aussagekräftig und faszinierend?
Die spannendsten Figuren sind für mich Hagen und Kriemhild, und sie transportieren die beiden interessantesten Dilemmas dieser Geschichte: Hagens Vasallentreue auf der einen Seite, Kriemhilds Wandlung zum Racheengel auf der anderen. Siegfried ist nur ein Auslöser, nur der Schalter, mit dem die Katastrophe in Gang gesetzt wird. Wolfgang Hohlbeins Roman "Hagen von Tronje" dürfte literaturwissenschaftlich eine der unterschätztesten Adaptionen sein - darin hat er genau diese beiden Themen sehr schön auf den Punkt gebracht.
Was war der Auslöser für die Reihe „Die Nibelungen“? Wie kam es zu diesen Charakterdarstellungen?
Der Auslöser war, wie gesagt, die Verwunderung über die dauerhafte Faszination des Artus-Mythos, der gerade Fantasyautoren immer wieder zu Bearbeitungen inspiriert hat, und der Mangel an Nibelungen-Adaptionen. Hohlbein war tatsächlich lange der einzige Deutsche, der sich des Stoffes auf populäre Weise innerhalb des Genres angenommen hat (Stephen Grundys "Rheingold" ist in gewisser Weise auch ein hiesiges Produkt, geschrieben zwar von einem Amerikaner, aber von einem deutschen Verlag ausgeheckt und in Form gebracht). Während man mit der Artus-Geschichte immer eine gewisse Farbigkeit verbunden hat, hatten die Nibelungen lange so etwas Muffiges, vielleicht nur für uns Deutsche. Durch Wagner und die Nazis hatte der Stoff lange Zeit auch eine gewisse Vorbelastung, von der ich vollkommen weg wollte, um zu sagen: "Schaut mal, was wir für eine tolle Geschichte direkt vor der Haustür liegen haben. Wir müssen nicht nach Avalon und Camelot, wir haben das alles hier bei uns."
Natürlich kann man die beiden Mythen inhaltlich eigentlich gar nicht vergleichen - die Artus-Sage ist eine sehr äußerliche, oberflächliche, abenteuerliche Geschichte (deshalb macht sie sich auch als Adaption so gut), die im Kern zwei klassische Konfliktstellungen besitzt: Das Dreicksverhältnis und den Vater-Sohn-Zwist. Das Nibelungenlied dagegen hat nicht diesen äußeren Glanz, nicht diese funkelnde Oberfläche - dafür gehen die psychologischen Konflikte tiefer und sind sehr viel komplexer. Eigentlich ist das kein Abenteuerstoff, sondern ein Familiendrama.
Was würden Sie von einer Nibelungenausstellung erwarten?
Ich kann keine Bilder vom Drachenkampf und der schmachtenden Kriemhild mehr sehen. Ein Schwerpunkt auf Hagen wäre interessant, und natürlich auf den nordischen Wurzeln.