06. Dezember 2007
Hänge ich mich mal aus dem Fenster und behaupte, "Der Goldene Kompass" wird nicht genug Geld einspielen, um die Teile 2 und 3 zu rechtfertigen. Vielleicht werde ich schon am Wochenende widerlegt und New Line kündigt vollmundig die Fortsetzung für 2009 an. Warum ich aber glaube, dass der Film nur mäßig laufen wird? Nun, er ist weder besonders gut, noch besonders schlecht. Der Roman ist toll, eines der schönsten Fantasybücher der letzten zwanzig Jahre. (Leider gilt das m.E. nicht für die Bände 2 und 3, aber das ist ein anderes Thema.) Der Film - aufwendig ausgestattet, hervorragend besetzt, okay inszeniert - wurde eindeutig im Schnitt und durch Nachdrehs vermurkst. Schnitt heißt in diesem Fall: In dem Bemühen, die komplexe Exposition unterzubringen (was in den ersten Szenen noch gut gelingt, wenn auch holprig: Jeder Dialogsatz eine Information für den Zuschauer), hat man dafür auf alle Emotionen gänzlich verzichtet. Und bleibt trotzdem noch einen Großteil der Erklärungen schuldig. Lyra mögen wir nur, weil Dakota Blue Richards sie gut spielt, aber wir erfahren wenig über ihre Gefühlswelt. Die meisten anderen haben überhaupt keine emotionalen Hintergründe mehr: Lord Asriel? Mrs. Coulter? Der Aeronaut? Alles leere Hülsen. Die Hexen sind hübsches Dekor, aber über sie wird exakt nichts mehr erzählt. Und die Eisbären? Na ja. Schön animiert, aber noch mehr Staffage als die Fabelwesen in "Narnia".
Im Fotobilderbuch zum Film sieht man noch, wie das Ganze ursprünglich ausgesehen hat: Da kam das Duell um den Eisbärenthron nach der Schlacht um Bolvangar (jetzt findet es davor statt), was den Bären einen höheren Stellenwert in der Gesamtdramaturgie zugebilligt hätte. Mal ganz abgesehen von dem Original-Ende mit Lord Asriel und den Nordlichtern, das im Fotobuch gleichfalls auftaucht, aber nachträglich aus dem Film entfernt und für Teil 2 aufgehoben wurde. Oder für die DVD, falls Teil 2 gar nicht mehr gedreht wird.
Exemplarisch für alles, was mit dem Film nicht stimmt, ist der Banditenüberfall auf Lord Asriel im Eis. Offensichtlich ein Nachdreh, der eingefügt wurde, um schon weiter vorn ein bisschen Action zu veranstalten - was man ja nun auch arg deutlich daran merkt, dass die Szene hinten nicht mehr aufgelöst wird. In einem Voice Over (allzu oft ein Anzeichen für dramaturgisches Flickwerk im Nachhinein) erzählt Mrs. Coulter doch allen Ernstes, Asriel habe die Banditen bestochen und sei so wieder freigekommen. Was wir nicht zu sehen bekommen und auch ansonsten keinen Sinn macht, da damit die Bösewichte des Films (die Banditen arbeiten ja für das Magisterium) ganz einfach durch Bestechung überwunden werden können. Mal abgesehen davon, dass das Magisterium auch ansonsten nie als greifbare Bedrohung auftritt, sondern diese Bedrohung immer nur behauptet wird.
Was den Film aber eigentlich an den Kinokassen nach ein paar ersten guten Tagen abstürzen lassen müsste, ist die Tatsache, dass ihn jemand, der das Buch nicht kennt, einfach nicht verstehen kann. Pullman verzettelt sich in den späteren Bänden ziemlich eitel in seinen eigenen metaphysischen Regeln, aber in Band 1 funktionieren sie einigermaßen gut. Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten, die er im Buch geschickt überspielt, die der Film aber um so deutlicher macht: Wie funktioniert das Alethiometer tatsächlich? Zeige mir einer den Zuschauer, der das ohne das Buch verstanden hat (und auch da war es schon fragwürdig). Und, schlimmer noch: Was ist der Staub? In den Büchern werden die Erklärungen später nachgeliefert, im Film taucht eigentlich nur der Begriff auf. Wird der gemeine Weihnachtsfantasyfilmgucker da wirklich mitgehen?
Aber vielleicht zieht die auf "Narnia" getrimmte Werbekampagne doch und für New Line wird alles gut. Der Erfolg steht und fällt mit der Werbewirksamkeit des Eisbären. Vielleicht funktioniert´s. Aber am Film selbst dürfte das nicht liegen. Warten wir also auf den unvermeidlichen Director´s Cut, in dem vielleicht wieder alles länger und besser ist. Und bei aller Ehrfurcht vor der Leistung Peter Jacksons mit dem "Herrn der Ringe": Das haben wir nun leider ihm zu verdanken.